Woher kommen wir und wo wollen wir hin?

Fünf Jahre Konferenz Afrika neu denken

Ende September 2017 findet die Konferenz Afrika neu denken zum fünften Mal statt. Die diesjährige Konferenz stellt die Frage: „Ist Afrika im Zentrum“? „Afrika im Zentrum“ ist auch der Name der Homepage , die wir seit der ersten Konferenz 2013 eingerichtet haben. Damit schließt sich ein Kreis. Wenn wir in diesem Jahr diese Frage nach Afrikas Platz in den Diskursen und politischen Strategien verschiedenster Akteure in Deutschland stellen, dann reagieren wir auf die Entwicklung, die sich im Zusammenhang mit der deutschen G20-Präsidentschaft gezeigt hat: Drei verschiedene Ministerien ein und derselben Bundesregierung haben jeweils ein Afrika-Konzept vorgelegt: „Marshall-Plan mit Afrika“ des BMZ, „Pro!Afrika“ des BMWI und „Compact with Africa“ des Finanzministeriums. Bei allen kleinen Unterschieden in Details und bei aller Konkurrenz zwischen politischen Parteien haben diese drei Konzepte einen gemeinsamen Nenner: alle drei behaupten, nur das Gute für die Menschen in Afrika zu wollen.

Ist es tatsächlich so, dass die Protagonisten dieser Afrika-Konzepte nur die Interessen der Menschen in Afrika im Blick haben? Um welche Menschen handelt es sich? Angenommen, die Absicht wäre es tatsächlich, nur „Gutes“ in Afrika zu bewirken – sind die in diesen Konzepten entworfenen Lösungsansätze geeignet, um die beabsichtigte „Hilfe“ für Afrika effizient zu gestalten? Diese Fragen und mehr haben Afrika-interessierte Individuen, Organisationen und Netzwerke in den vergangenen Monaten beschäftigt. Die folgenden Zeilen beabsichtigen nicht, diese Fragen zu beantworten. Vielmehr wollen sie die Neuentdeckung des afrikanischen Kontinents im Lichte des Projektes Afrika neu denken als Ort der Begegnung und des kritischen Denkens reflektieren und somit die Relevanz dieses Projektes aufzeigen.

In seiner ersten Auflage befasste sich Afrika neu denken mit dem Thema „Potentiale, Akteure, Zukunftswege“. Damit griff AND eine Fragestellung auf, die im Zentrum postkolonialer Studien steht: Wer spricht und wie über wen? Welche Stimmen dominieren den öffentlichen Diskurs und welche Stimmen werden dadurch zum Schweigen gebracht? Mit dieser Fragestellung ging es darum aufzuzeigen, dass – wenn es darum geht, Zukunftsperspektiven in den verschiedenen afrikanischen Kontexten zu skizzieren – es darauf ankommt, die Akteure in den Mittelpunkt zu stellen, die vor Ort Änderungsprozesse anstoßen oder Widerstand gegen fremde Angriffe organisieren. Bereits die erste Konferenz war eine Reaktion sowohl auf die Herausforderungen, die sich durch die Flüchtlingspolitik der EU, auch für die afrikanische Diaspora, ergeben als auch auf die Problematik der Darstellung Afrikas in politischen Diskursen und in der humanitären Hilfe. Bewusst wurde entschieden, sich nicht vordergründig an diesen beiden Problematiken abzuarbeiten, sondern die Themen so zu setzen, dass ein Perspektivwechsel stattfinden konnte. Es gelang in dieser Konferenz, die Potentiale der verschiedenen afrikanischen Kontexte und die Eigeninitiativen, die die Akteure vor Ort ergreifen, mit konkreten Beispielen zu illustrieren, um somit der verbreiteten Annahme entgegen zu wirken, Afrika stünde nur als Erfindung der Strategien derer da, die die Globalisierungsprozesse lenken oder Reparaturarbeit durch Entwicklungshilfe leisten. Dieser Versuch, Widerstände und positive Ansätze aufzuzeigen, Dekonstruktionsarbeit angesichts festgefahrener Diskurse über Afrika und seine Menschen zu betreiben, hat sich seitdem durch jede Konferenz durchzogen. „Bilder, Macht, Interessen“, „Dekolonialitäten – 130 Jahre nach der Berliner Konferenz“, „Wer schuldet wem was?“ so heißen die Themen, mit denen sich die Teilnehmenden an der Konferenz Afrika neu denken in den folgenden Jahren auseinandergesetzt haben: Eine Konstanz in diesen fünf Jahren ist der Versuch, immer die Spannung zwischen Vergangenheit und Zukunft, Selbst und Fremdbildern der damals Kolonialisierenden und Kolonialisierten, Definitionsmacht und Wiederstand dagegen hoch zu halten. Eine andere Konstanz ist, dass Afrika neu denken immer an Aktuelles andockt, Trends, herrschende Diskurse zu und über Afrika aufgreift, ohne in deren Logik behaftet zu bleiben. Afrika neu denken versteht sich als Ort, an dem das Verborgene, das Nicht-Wahrgenommene und sogar das Verschwiegene in Bezug auf Afrika sichtbar gemacht wird: anstatt der für bestimmte Zwecke produzierten Bilder und Narrative die Vielfalt der Bilder und Narrative, anstatt der ausschließlich annehmenden Hand die ausgestreckte Hand.

So auch in diesem Jahr. Die Afrika-Initiativen der Bundesregierung und der EU konstruieren ein Afrika, das fast ausschließlich als Herkunft von „Flüchtlingen“ dargestellt wird, und ein Afrika, das nach außen blickt, woher die Lösungen kommen sollen. Dieses Konstrukt findet Alliierte in afrikanischen, meist selbst ernannten Eliten, die zum Blick nach außen erzogen wurden. Afrika neu denken 2017 richtet den Blick auf die Potentiale innerhalb des Kontinents, auf die intellektuellen, moralischen, spirituellen und materiellen Ressourcen, die es auf dem Kontinent gibt, auf das, was AfrikanerInnen voneinander lernen können und auf Visionen, die an vielen kleinen Orten keine Utopien bleiben, sondern bereits zum Vorschein kommen. Wie in jedem Jahr von Beginn an rekurriert Afrika neu denken auch in diesem Jahr auf eine geballte Kompetenz von VertreterInnen der afrikanischen Diaspora, aber auch von Menschen, die direkt aus dem Kontinent kommen. Diese treffen auf Afrika-Interessierte, aber auch auf Menschen in Deutschland, die sich in unterschiedlichen Konstellationen beruflich mit Afrika beschäftigen. Somit entwickelt sich Afrika neu denken auch durch ihren Bezug zur Aktualität zu einer Plattform, auf der Annahmen, Gewissheiten und Praxen zu Afrika überprüft und dekonstruiert werden. Eine Besonderheit von Afrika neu denken, die sich in den vergangenen vier Konferenzen immer wieder gezeigt hat, ist, dass Menschen aus der weißdeutschen Mehrheitsgesellschaft, die an vielen anderen Orten Afrika-Diskurse prägen, sich ins aktive oder inaktive Zuhören einüben, während VertreterInnen aus den afrikanischen Communities, die oft keine Plattform erhalten oder deren Perspektiven sehr leicht in den Bereich der Verschwörungstheorien abgetan werden, eine neue Rolle für sich entdecken.

Die Idee Afrika neu denken wird mittlerweile in verschiedensten Formen aufgegriffen. Wir hoffen, dass sich die Konferenz als ein Ort etabliert, an dem kritisch über Meinungsbildungsprozesse zu Afrika in der Bundesrepublik Deutschland und in EU-Ländern – die in dieses Projekt durch die Beteiligung der afrikanischen Diaspora einbezogen werden – informiert wird, um Afrika-Diskurse von den Bürden zu befreien, die bis zum jetzigen Tag auf ihnen lasten.

Boniface Mabanza Bambu